top of page
Zurück
Die entfesselte Wahrheit

Video anschauen

BĀLAVAT liest

Die entfesselte Wahrheit
00:00 / 01:04
Lade...
Die entfesselte Wahrheit

div. Materialien auf Leinwand 160 x 120 cm

Die entfesselte Wahrheit

Wer wird es wagen, Wahrheit, dich,
die du an Stoff gefesselt, zu befreien
und zu behaupten, fertig und vollendet
sei nun die Körperform und an der Reihe,
den Geist, den schwachen und zurückgebliebenen,
verkümmerten, an neuen Tropf zu legen,
damit ihm aufgeht, was so fest verschlossen,
und Einsicht ihm gewährt wird durch Erfahrung?

Unübertrefflich turnen die Artisten
an Ringen, steiler Wand, auf hohem Seil.
Zu Akrobaten geistiger Verrenkung
sind sie geworden, die einst Weisheit liebten.
Der Dreifachsalto ist für Philosophen
die Einstiegsübung in den dunklen Dom,
in dessen festverschloss'nem Tabernakel
die Ich-Idee zur Selbstbefriedung treibt.

Zum Ganzen ist der Schlüssel nicht gefunden;
gekettet ans Detail bohrt sich der Geist
ins Felsgestein des Unbewussten, um dann, sprengend,
aus tausend Splittern das Orakel zu ergründen.
Dann kittet er die weitverstreuten Brocken.
Sekundenkleber hilft bei seinem Werk.
Es blickt ihn an das Monster der Verwirrung,
des Irrtums Kind, wenn der nicht weiterführt.

Es lallt und seibert und spuckt Gift und Galle,
ejakuliert, wälzt lachend sich im Dreck,
entleert sich auf den letzten kümmerlichen Werten
und siebdruckt Goethe auf die Einkaufstüte,
mit der es Hostien kaufen geht - der letzte Schrei -,
weil die nun unterdessen nahrhaft sind und lecker schmecken,
denn irgend so ein kluges Kirchenköpfchen hat
ravioliartig Blutpasteten draus gemacht und die dann
markenartig schützen lassen.
Es müsste wachsen über sich hinaus Erkennen,
die wahre Einsicht über Ziel und Zweck des Ganzen,
und sich vermählen, nein, verschmelzen mit der Tat,
die Leere dann erstürmen oberhalb des Scheitels,
denn sie umfasst und trägt den ganzen Spuk,
um dann von dort, durchdringend wie der Raum,
nur durch Sanktion und Nichtsanktion zu herrschen
in seligem Gehorsam und der Wahrheit Zwang.

Es wird das sterbliche Vehikel
dann nicht umsonst entstanden sein,
so schön, so kompliziert und wohldurchdacht,
so magisch und so zukunftsträchtig,
und auch die Degradierung nicht erfahren müssen
zum Biomechanismus und zum Gen-Mutanten,
berechenbar, gelenkt und überwacht durch böse Buben,
weil es zur Freude an Unsterblichkeit erschaffen.

Wer also, Wahrheit, wagt es, dich,
dich nackte, schöne, kalte zu entfesseln,
dich zu ertragen, wenn du losgelassen?
Wer wagt, die warme Milch zu trinken, die die Augen öffnet,
Erbärmlichkeit entdecken lässt, wo Größe schien,
und Heiligkeit im Kote wühlen sieht.
Wer wagt den Zwang, der dem Erkannten eigen
und dem selbst Menschenwürde nicht sehr viel bedeutet?

Er trete vor und blicke ihr ins Auge!
Sie wird ihn packen und in Stücke reißen
zugunsten eines größeren Gefüges,
in dem er nichts, sie aber alles ist,
und dann verschlingen, wie alle ihre Diener,
die froh, verzehrt zu sein, mit ihren Augen sehen:
erbarmungslos entlarvend, alles liebend
und selbst im Schicksalsschlag noch voller Gnade.

BĀLAVAT

 
bottom of page