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Die zweite Hälfte des Käses

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BĀLAVAT liest

Die zweite Hälfte des Käses
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Die zweite Hälfte des Käses

div. Materialien auf Leinwand 120 x 160 cm

Die zweite Hälfte des Käses

Des Tanzes müde durch die sieben Himmel
der Willkür und beliebiger Phantasmen
ließ sich die Kunst auf ihrem oft zerbrochenen,
doch immer wieder reparierten Stuhle nieder,
der auf dem Käsebrett des Ausdrucks stand,
dem einzig festen Boden, den sie hatte,
denn eine Pause war vonnöten, unbedingt!
Schwer atmend sprach sie leise vor sich hin:

"Gezeigt ist alles, was man zeigen konnte.
Formal ist ausgeschöpft der große Topf,
aus dem zu viele Mäuler hungrig fraßen.
Es droht die Wiederholung der Rezepte,
und aufgewärmt war tausendfach die Suppe,
verbrannt der Bodensatz, das Beste abgeschöpft."
Dann sprach sie laut zu all den schlaffen Geistern:
"Malt ihr nur tüchtig weiter ohne Sinn.
Stecht Löcher in die Leinwand, löst die Formen,
lasst den Gefühlen wilden, freien Lauf!
Haut Nägel in Klaviere, lasst euch treiben!
Malt Kreise und Quadrate tausendfarbig.
Schlagt euer Wasser auf die Leinwand nieder,
entleert euch auf der weißen Unschuld Fläche,
und, wenn ihr wollt, bespritzt sie auch mit Blut.
Es wäre doch gelacht, wenn es nicht weiterginge!
Doch meidet jedes klare Ausdrucksmittel!
Habt keine Meinung, keine Botschaft, bitte!
Wer frei sein will, darf sich an gar nichts binden.
Auf dieser Welt ist nichts von Wert und Dauer.
Ran an den Speck, das Fleisch und an das Leben,
mit Pinseln, Messern, Spachteln, nackten Händen!
Es darf nicht sein, dass euch der Stoff ausgeht!
Die größte Schönheit lebt in tiefen Wunden.
Nichts - sage ich - darf übergangen werden!
Ihr schlachtet alles aus und walzt es breit.
Wie soll im Anblick ungenutzter Möglichkeiten
man denn Genüge, gar Erfüllung finden?
Kratzt aus dem Topfe noch den letzten Rest.
Des Geistes Schranken sind nur so zu brechen.
Dreht alles um, um es erneut zu drehen.
Hängt notfalls Bilder auch verkehrt'rum auf.
Wenn das nichts bringt, dann übermalt ihr sie.
Stellt Ethik auf den Kopf. Zerstört die Werte.
Steigt in die Urzeit und ins Unbewusste.
Stoßt Schreie aus, bei kühner Pinselführung.
Ihr könnt auch beim Geschlechtsakt tüchtig malen.
Die Bilder ließen sich - bei Gott! - verkaufen,
- an impotente Intellektuelle.
Es gibt noch viele Möglichkeiten, will mir scheinen,
die Zeit sich zu vertreiben mit der Kunst.
Und sicher seid ihr einfallsreich genug,
das eine, andere noch hervorzubringen.
Seid ihr das nicht, dann müsst ihr schielend stehlen.
Auf alle Fälle muss der Rubel rollen!
Die Musen tanzen gern in Ruhmes Sonne.
Wenn es die Musen sind. - Ich zweifle dran,
denn die sind, wie ich weiß und deshalb sage,
sehr schön und zart und scharf und meistens leise,
nicht hässlich, grob und stumpf und laut und grell.
Falls aber weiterhin die Langeweile
und Einfallslosigkeit die Kunst regieren,
wen wundert's dann, dass sie dem Bache folgt,
wenn Höchstes sich im Drecke wälzt und suhlt,
statt lichten Schrittes Höhen anzustreben,
auf deren Gipfeln sich die Blicke weiten?
Statt dessen tragt die Selbstvergessenheit
ihr auf der Fahne, und im gleichen Schritt
marschiert ihr lustig los in jede Himmelsrichtung.
Vergessen ist der Ausgang, den ihr nahmt.
Und wenn man fragt: "Wohin des Wegs, ihr Lieben?"
Dann lächelt ihr vielsagend nur und schweigt.
Dann sagt ihr nicht, wohin die Reise geht.
Weil ihr es selbst nicht wisst, woher denn auch?
Man sieht's am Flackern deutlich in den Augen.
Es ist die Angst, vom hohen Ross zu fallen
und dass ein Besserer den Platz euch nimmt,
um den ihr kämpft, mit Klauen und mit Zähnen!
Dabei kennt ihr die Sinnverdünnung gut;
die wird zur Inhaltslosigkeit getrieben,
mit handwerklichem Können zwar und mit Bravour,
nur ohne Zweck, jedoch mit heiligen Mitteln.
Nun heult ihr auf? Und rufet laut: Wieso?
Wir sind doch äußerst kompliziert und tief dazu.
Wie wir die Welt betrachten, sah sie keiner!
Absurd ihr Anfang, so denn auch ihr Ende
und folgerichtig unser Tun und Schaffen: frei!
Wir machen Kunst, wie man es kann und muss:
vollendet!"

So sprach die Muse mit verstellter Stimme
und lachte laut und fuhr zu sprechen fort:

"Vollendet ist das Werk aus eurer Hand?
Ihr seid am Ende! - Es ist aus mit euch!
Die halbe Wahrheit habt ihr nur erschaffen!
Es schließt der Kreis sich nur in voller Runde.
Zum Bahnhof rollt man nicht den halben Käse.
Der schönen Formen sind genug auf Erden.
Jetzt muss der Inhalt her, der dem entspricht!
Wie darf man, von Beliebigkeit gebunden,
versklavt an Ruhm und Geld, sich frei noch nennen?
Kann Halbes wahr sein, wenn's das Ganze gibt?"
Da schwiegen auch die größten Koryphäen.
Es war bewiesen ihre feste Bindung,
denn frei ist nur, wer auch die Ordnung kennt.
Die aber kannte keiner der Besagten,
und keiner hatte sich um sie bemüht.
Die Ketten waren deutlich hergezeigt,
und auch der Ring aus Eisen, der ihr Hirn umspannte,
geschmiedet aus Geschmack und Vorurteil,
ward sichtbar im neutralen Licht der Sonne.
Die Muse schwieg und lehnte sich zurück.
Auf ihren Lippen lag ein gnädig Lächeln,
als sie von oben auf die Künstler blickte.
"Ach", seufzte sie. "Die Kunst ist ohne Kraft!
Und Wasser rinnt statt Blut durch ihre Adern!
Es ist kein Zunder und kein Feuer da!
Zur Hure hat man sie gemacht, zur Aktie,
ein Nichts aus ihr, obwohl sie Welten schuf!"

Ich sah die Muse hoch auf ihrem Brette,
vernahm ihr Klagen und verstand den Sinn
und sammelte den Geist in einem Punkte,
in jenem Punkt, in dem sich alles trifft
und wo kein zweites Ding mehr existiert.
Dann legte diesen ich vor ihre Füße
und brachte dar, was nicht mein eigen war.
Sie nahm sich meiner an, wie eine Mutter!
Wen wundert's, dass ich reifte, wie der Käse,
und nun verzehrt sein will - und ausgeschieden?
Lasst es euch sagen, Freunde, lasst's euch sagen:
Die wahre Kunst führt immer ins Okkulte,
von dort geht's aufwärts, aber auch nach unten.
Dämonen schmieden hier die Seelenkrieger.
Der Todesengel geht mit Feueraugen um.
Hier hilft die Absichtslosigkeit nur und die Leere,
um vor dem Nichtmehrsein sich zu bewahren,
denn übermächtig sind hier die Gewalten!
Hinweggefegt ward mancher edle Recke,
der das Gesetz des Universums nicht verstand.
Heut trägt die Jacke er mit langen Ärmeln,
sitzt in der Psychiatrie, weil Gott er sah!
Der klare Geist jedoch wird hier zum Schöpfer
und die Idee zur größeren Wirklichkeit!
Auf diesen Ebenen lernt die neuen Tänze!
Bleibt es, wie's ist, dann ist ein Bild
nicht mehr wert als die Leinwand und die Farbe!
Dort drüben aber ist es Macht bewussten Willens!
Ursache ist es dort, für Wirkung hier,
und kein Lakai für zweifelhafte Fürsten!
Und das ist wahr! - Ich kann es schwören!

BĀLAVAT

 
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